Zehn Tage Hitler
(die „echten“ Hitler-Tagebücher)
Die Älteren werden sich gewiss noch gut an das Jahr 1983 erinnern. Besonders drei Dinge werden ihnen im Gedächtnis geblieben sein: zum einen der 5:0-Heimsieg von Bayer Uerdingen gegen Darmstadt (und der damit verbundene Aufstieg in die Bundesliga) und zum anderen: der Skandal um die angeblichen Tagebücher von Adolf H. im Faktenmagazin „Stern“. Der „Stern“ bekam nur Fälschungen. Wer hat das Original? Ich. Lange Zeit habe ich mich dagegen gewehrt, diesen Text als eher links-orientierter Mensch zu publizieren, doch Ilja Budnizkij, russisch-jüdischer Teil meiner Lesebühne „Zwei Ossis und ihr Johannes“ meinte, dass ich diesen Text nicht nur veröffentlichen dürfte, sondern sogar müsste. Wenn man nicht über Hitler lacht: Worüber denn dann? Stimmt. Und vorab noch ein Zitat Hendry M. Broders: „Adolf Hitler ist der einzige deutsche Beitrag zum Welthumor“.
12. April 1944
Liebes Tagebuch. Habe heute versucht, Blondie den Hitlergruß beizubringen. Doch das elende Vieh weigerte sich. Vielleicht hat es auch einfach die falsche Rasse. Es war aber auch total unkonzentiert! Ich hoffe, ich finde noch eine Endlösung für dieses Konzentrationsproblem. Da müsste ich doch noch irgendwas auf Lager haben… Außerdem habe ich noch ein bisschen Schiffe versenken im britischen Gewässer gespielt, aber leider verloren. Churchill, dieser elende Cheater! Lol!
13. April 1944
Habe heute endlich einmal etwas gebacken bekommen: ein preußengroßes Backblech voll mit NSDAPlätzchen! Lecker! Ansonsten ist heute nicht viel passiert. Habe meine Lebensversicherung gekündigt, denn weil ich ja unsterblich bin, brauche ich die nicht. Clever! Mal gucken, ob der morgige Tag besser wird.
14. April 1944
Leider nein: Neuigkeiten von der Front. Ach ja, Krieg, stimmt, da war doch noch was. Zehntausend unserer Männer sind in Leningrad gefallen. Ja, meine Güte, dann sollen sie halt wieder aufstehen! Ich habe jedoch veranlasst, den Kameraden zwanzigtausend Pflaster mit Blümchenmuster zukommen zulassen. Bin ja kein Unmensch.
15. April 1944
Endlich Sonntag! Habe Eva gefragt, ob wir nicht mal wieder Geschlechtsverkehr haben könnten – ich wünsche mir doch so sehr einen kleinen Verführersohn. Aber Eva lachte nur und hat mich gefragt, ob denn schon wieder Weihnachten wäre. So eine Frechheit! Ist sie Franz Beckenbauer oder was! Und Blondie, diese dumme Töhle, kann den Führergruß immer noch nicht!
16. April 1944
Klug wie ich bin, habe ich heute ein neues Gesetz erdacht. Unter Paragraph 14181418, Absatz 888888Periode8 ist jetzt festgelegt, dass das Weihnachtsfest von nun an am 17. April gefeiert wird. Eva weiß noch nichts von ihrem Glück, morgen werde ich sie überraschen. Das wird sehr, sehr gut.
17. April 1944
Was hatte ich mich auf diesen Tag gefreut! Weihnachten! Das Fest der Liebe! Im ganzen Reich bauten die Kinder Schneemänner aus Asche, die Leute schenkten sich gegenseitig hübsch verzierte Körperteile (oder was sie sonst noch so auf den Straßen finden konnten) und ich freute mich darauf, meinen, zugegeben, kleinen Adolf in Eva einmarschieren zu lassen. Alles war vorbereitet: Im rechten Winkel meiner Schmusestube hat sich ein HJ-Chor aufgestellt (ich weiß nicht wie viele, aber ich schätze es waren 33-45 Buben), um „Sex Machine“ von Evas Bruder James zu singen. Die totale Romantik! Doch Evas Mumu wagte einen Putsch, sie wollte sich mir nicht öffnen! Also entschied ich mich für Blitzwichs. So etwas darf nie, nie wieder passieren!
18. April 1944
Ich traf mich heute mit Joseph, dem alten Spasti vom Niederrhein, um ihm mein Leid zu klagen. Joseph war sehr einfühlsam, wir tranken gemeinsam drei arische Kannen Kaffee und dann frug er mich: „Willst du die totale Aufmunterung?“ und natürlich willigte ich ein. Eine totale Aufmunterung ist die kürzeste Aufmunterung. Er erzählte mir, ich bräuchte mir keine Sorgen um Evas Mumu zu machen, die wäre nicht immer so trocken. Na dann.
20. April 1944
Geburtstag! Juhu! Jubeldubeldei! Alle meine Freunde sind gekommen und wir haben zu dritt eine tolle Fete bei mir im Führerbunker. Heinrich schenkt mir ein Ei. Ein rohes Ei! Wozu? Ich weiß es nicht, verdammt! Aber alle anderen fanden es lustig, also habe auch ich ein bisschen mitleidig geschmunzelt. Bin ja immer noch kein Unmensch. Dann hat jemand gepupst. Man gab mir die kollektive Schuld! Doch ich war das nicht! Das Gas kam aus einem Gestapo! Schade nur, dass Eva und Jospeh nicht zu meiner Feier gekommen sind. Wo sie bloß sind?
21. April 1944
Heute habe ich etwas gelernt: wenn Blondie auf dem Rücken liegt, gelingt ihr annähernd der Führergruß. Ich bin stolz auf sie. Gab ihr zur Belohnung ein paar übrig gebliebene NSDAPlätzchen und EssEss-Papier. Im deutschen Reich soll niemand hungern! Achso, Eva ist übrigens wieder aufgetaucht. Und als nachträgliches Geburtstagsgeschenk brachte sie mir einen neuen Film von Leni (nicht Lenin!) mit. Auf DVD. Ach nein, die gibt es ja noch nicht. Also im Super8-Format. Der Titel des Films: „Wie ich in Auschwitz mein Herz verlor – und alle anderen Organe auch“. Scheint eine Liebeskomödie zu sein.
22. April 1944
Habe Depressionen. Eva will nicht ficken, der Krieg geht mir auf den eineiigen Sack, alles läuft einfach scheiße im Moment. Daher lenke ich mich ein wenig ab. Heinrich hat mir zum Geburtstag eine Schallplatte mit entarteter Musik mitgebracht. Ich höre sie nun schon seit Stunden und tanze flippig dazu. Da fällt mir auf, was hier für ein Dreck regiert! Wer hat denn da mit meinem Globus Fußball gespielt? Apropos Fußball: Ich muss heute früh schlafen gehen. Morgen erwartet mich der FC Buchenwald. Muss da einen neuen Ascheplatz einweihen. Gute Nacht!
Entschuldigung.
(geschrieben am 01.09.2011)