Matt

Matt

Schwar­zer Bauer von E5 auf E4:
Die­ser Zug endet hier.
Wei­ßes Pferd von B4 auf C6:
Ab­sprung in Blick­rich­tung rechts.

Auf C6 noch ein Läu­fer steht und
von sei­nem Plat­ze will der nicht gehen,
drum fragt er das Pferd­chen ganz dis­kret:
„Dürf­te ich Ihre Be­rech­ti­gung sehen?“

Und das Pferd er­klärt.

„Herr Läu­fer, das Re­gel­werk be­legt
schwarz auf weiß, dass weiß schwarz
schlägt und nun wei­chen Sie, sonst legt
sich diese un­schö­ne Auf­ruhr wo­mög­lich nie.“

Doch der Läu­fer un­froh An­de­res
hegt und er regt sich auf und
dann noch an, dass dies ja
wohl so nicht sein kann.

„Hömma, Pferd­chen“, wird er frech und di­rekt,
„diese Re­ge­lung ist kei­nes­falls po­li­tisch kor­rekt!“
Dann neigt er sich – so ist es Sitte –
hin zum Pfer­de und flüs­tert leise eine Bitte:

„Und noch was, Kol­le­ge. Kön­nen wir auf­hö­ren zu rei­men? Ich hasse Reime. Egal, was man aus­drü­cken will, es klingt immer ge­stelzt und un­echt – zu­min­dest, wenn man das nicht drauf hat mit dem Rei­men, so wie wir. Wir sind doch nur klei­ne Fi­gu­ren auf einem Feld und je­mand be­wegt uns hin und her. dann tref­fen wir ir­gend­wann zu­fäl­lig mal zu­sam­men, rei­ben uns an­ein­an­der, haben Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten und müs­sen wir dann un­be­dingt ver­su­chen, un­se­re Ge­dan­ken mög­lichst cle­ver und ge­schickt zu for­mu­lie­ren? Und dann auch noch in Reim­form? Nur um uns in­tel­lek­tu­ell auf eine hö­he­re Stufe zu stel­len? Das hier ist doch kein be­schis­se­nes Lie­be­slied, sag mir ein­fach in ein­fa­chen Wor­ten, warum ich hier jetzt nicht mehr auf C6 her­um­ste­hen darf, okay? Pferd? Okay?“

Und das Pferd ant­wor­tet.

„Ich ver­ste­he dich gut,
aber Rei­men ist Pas­si­on,
ist gut, tut gut, ist Kunst,
ist gute Kunst, ist Kunst­gut,
ist gutes Kunst­gut und
Kunst tut gut, wenn uns Wut
im Her­zen weh­tut und wir ungut
und ohne Mut den Dis­put
nur mit Glut auf­gie­ßen,
um als Re­krut den Hut
nicht vom Kopfe zu schie­ßen.
Es sprie­ßen doch seit lan­ger Weile
harte Pfei­le in die zar­ten Teile,
die wir Köpf­chen nen­nen und aua,
fühlst du den Hass nicht wü­tend bren­nen?
Wür­den wir uns zur Poe­sie be­ken­nen,
so könn­ten wir nun hier, Mensch und Tier, tun,
was wir schon strei­ten nen­nen, aber
ohne dabei die Kunst zu ver­ken­nen.
Also schließ‘ dich mei­nen Rei­men an,
weil Rei­men ein­fach jeder kann!“

Der Läu­fer lässt die Worte wir­ken und fragt:
„Hä? Was?“

Und das Pferd er­klärt er­neut:
„Dein Ver­bleib auf die­sem Feld ist so un­si­cher wie die Rü­ben­ern­te mit der blo­ßen Hand, nur ohne Bü­cken und auf einer ganz an­de­ren Ebene, weil sich die Be­ge­ben­hei­ten in eine ganz an­de­re Rich­tung ver­schie­ben. Du soll­test von hier flie­hen wie der Es­ki­mo vor dem Eis­bä­ren: kalt, ehr­fürch­tig und zu­recht.“

Und dann noch­mal der Läu­fer:
„Ver­steck dich nicht hin­ter dei­nen Me­ta­phern, wie soll ich die denn so schnell ent­rät­seln? Lass uns doch jetzt bitte wie zwei nor­ma­le Men­schen be­zie­hungs­wei­se Holz­fi­gu­ren über un­se­re Si­tua­ti­on spre­chen, ohne dass wir uns…“

Eine Hand greift nach dem Läu­fer, stellt ihn neben das Schach­brett und sagt: „Thank you for play­ing Chess with me. Schach­matt!“

 

(geschrieben am 01.07.2011)