Freund von Klischees und funkelnden Jacken
In Tante Gerdas Tanzcafé ist heute großer Ü50-Abend. Das heißt für Bernd: raus aus den Adiletten, rein in die alte Glitzerjacke. Sie glitzert und funkelt wie damals, als Parties noch Feten hießen und man ihn landauf landab erfürchtig nur den „Boogie-Bernd“ nannte. Früher, da war Bernd der Held in seinem Freundeskreis. Schließlich war er der Älteste und kam so immer am einfachsten an die drei für heranwachsende Strolche wichtigsten Drogen: Zigaretten, Schnaps und Frauen. Jetzt, in 2017, ist wenig Heroisches geblieben. Nicht der Zahn der Zeit hat an ihm genagt, es war wohl eher ein komplettes Gebiss. Sein Gewicht hat sich verdoppelt; sein Äußeres ähnelt längst einem überdimensionalen, geplatzten Fußball, aus dem Arme und Beine so mitleidig und beiläufig herauslauern wie es Salzstangen aus einem Mettigel tun.
Bernd hat ein Problem: er altert. Er altert jedoch nicht so gut wie manch ein Super Nintendo-Spiel oder ein Led Zeppelin-Album, nein. Vielmehr altert er eben, wie es Menschen leider meistens tun: unwürdig. Wenn das Leben ihn gezeichnet hat, dann ist es ein verdammt beschissener Maler. Es ist längst nicht mehr alles Bernd, was glänzt. Doch er flüchtet sich gern zurück in diese wilde Zeit von damals, die Siebziger, ach du liebes Lieschen, waren die dufte! Bernd stopft seine Füße in fesche Lederschuhe und macht sich glitzernd auf zu Tante Gerdas Tanzcafé.
Am Eingang steht ein gelangweilt durch die Straßen blickender Taxifahrer. Als Bernd eintreten will, wird er gefragt, wie lange er bleiben wolle. Bis er vom Tanzen erschöpft umfalle, antwortet Bernd. Der Taxifahrer entgegnet: „Sagen wir, halb zwölf?“, Bernd schüttelt nur den Kopf und betritt stumm das Tanzlokal. An der Wand ein Plakat zur Veranstaltung: „Ü50 – auch altes Eisen kann sich biegen“. Drinnen angekommen erklingt Musik. John Paul Young, „Love is in the Air“. Bernd ist auf dem Weg zur Theke und wippt dabei lustig im Takt. Er bestellt sich ein Bier. Ein richtiges Bier. Eins ohne Zitronen, Äpfel, Kirschen, Grapefruit und all diesem Obstzeug, kurz: eins, bei dessen Geschmack Hopfen und Malz noch nicht verloren sind, wie er gerne sagt, Bernd mag Wortspiele und bei seinem Bier mag er es klassisch, so wie er es eben kennt, er ist ein Filou der alten Schule. Dann guckt er. Und guckt. Und guckt. Auf der Tanzfläche bewegen sich rund zwanzig rüstige Körper, die meisten unfreiwillig komisch und: allein. Selbst die großzügig parfümierten Damen. Riechen kann man ihre Bemühungen aber auch so. 4711 is in the Air. Liebe nicht.
Und dann wird gezappelt. Es wackelt der Wackelpeter und tanzt die Tanzmarie.
Wenn man zwischen den Songs ganz genau hinhört, kann man ganz leise ein paar Knochen knirschen hören. Bernd hingegen vernimmt etwas Anderes, aus einer Ecke ertönt es: „Boogie-Bernd! Da ist BOOGIE-BERND!!“. Irgendjemand nimmt dies zum Anlass, am CD-Player auf Lied zwölf zu schalten. Es scheint unausweichlich, es erklingt Baccara, „Yes Sir, I can Boogie“. Das ist Bernds Stichwort! Er stolpert in die Mitte des Raumes, wo er von roten und grünen Lampen ausleuchtet wird. Boogie, Boogie, all night long! Seine Glitzerjacke reflektiert jeden Lichtpartikel und wenn man den eigenen Kopf auf die Seite legt, lässt sich Bernd in seiner Glitzerjacke nur schwerlich von der Discokugel unterscheiden. Boogie, Boogie, whole life long! Seine dem fortgeschrittenen Alter geschuldete, etwas krude Interpretation des Boogie gefällt den Anwesenden ganz gut. Boogie, Boogie, Bernd hat’s im Blut! Sie klatschen und freuen sich und wähnen sich zurück in 1977.
Die kompletten vierzig Sekunden lang. Der Song läuft weiter, Bernd braucht eine Pause. Um ihn herum bildet sich eine begeisterte Kölnisch Wasser-Duftwolke. Seine alten Fans sind auch seine neuen Fans, auch wenn es immer noch alte Fans sind. Anders gesagt: Er hat es eben immer noch drauf! Die Legende Boogie-Bernd lebt. Weil sich eben auch altes Eisen noch ein bisschen biegen kann.
Bernd schaut auf seine Uhr. Es ist halb zwölf. Er setzt sich ins Taxi und fährt glücklich nach Hause.