Dummheit – ein Insider packt aus

DUMMHEIT – EIN INSIDER PACKT AUS

Später Dienstag-Abend im traurigen Krefeld am Niederrhein. Im Rahmen meiner neuen Reportage über die gute, alte Dämlichkeit treffe ich hier heute einen Informanten in seiner favorisierten Stammkneipe. Laut meinen Informationen ist er um die zweiundzwanzig Jahre alt und dass er in seinem quasi noch jugendlichen Alter bereits eine Stammkneipe benennen kann, erfüllt mich mit Zuversicht. Das Ambiente unseres Gespräches jedoch eher mit Ekel: Der Geruch von gepantschtem Bier ärgert meine feine Nase, kritisch mustere ich den lederigen Wirt, die brüchigen Wände, schließlich geißele ich meine Augen durch den Anblick eines kleinen Mannes ohne Frisur. Das muss sie sein, die Dusseligkeit in Person. Hockt da unsicher auf seinem Barhocker, ohne Gleichgewichtssinn und Verstand. Angeblich ist er gescheit wie ein schlecht positionierter Curlingstein, klug wie 3 Meter Laminat. Was mir auch durch die erste Annäherung bestätigt wird: Schwummerig und dumpf scheint er allein durch Augenkontakt wertvolle Gehirnzellen aus den Schädeln seiner Mitmenschen glotzen zu können. Traurig, trottelig, genau mein Mann. In Erwartung des dümmsten Gespräches in der stolzen Geschichte der verbalen Konversation hole ich meinen Fragenkatalog hervor, bedanke mich jedoch zunächst dafür, dass er trotz seiner beträchtlichen geistigen Orientierungsprobleme Ort und Zeit für dieses Treffen gefunden habe. Er nickt. Immerhin, das kann er. In seinem insgesamt leider bemitleidenswerten Gesicht fällt mir sofort seine – zugegeben, sehr coole – Brille auf. Und so beginne ich das Interview klassisch mit der ersten Frage: Wie das zusammenpasse, Dummheit und Brille?

Er lacht irre auf wie es nur ein Einfältiger tun kann. Sekundenlang keine Antwort. Man kann quasi beobachten, wie er mühsam in seinem Kopf Buchstaben zu Worten zusammenzusetzen versucht; Sprache, der heitere Puzzlespaß aus dreißig Teilen, wenn man die Profi-Buchstaben Ä, Ö, Ü und Eszett mitzählt. Ob er schon das gesamte Alphabet beherrsche, frage ich mich in der Stille, schließlich gäbe es da so verrückte wie seltene Buchstaben wie das Y oder das Q. Mir kommt der Scherz eines Kaberettisten in den Sinn, dass jemand so dumm sei, dass er beim Sodoku-Lösen einen Taschenrechner zu Hilfe nähme, weil er sich all die Zahlen nicht merken könne. Ob mein Informant dasselbe mit Zeitungen anstellt? Ich solle mich nicht von seiner Optik täuschen lassen, sagt er schließlich, schon nach kurzem Kennenlernen würde jeder halbwegs intelligente Mensch seine innere Dummheit erkennen. Und sie wäre ihm dann doch peinlich, weswegen er soziale Kontakte auch eher meide. Es folgt ein wahrer Redeschwall getreu dem Zitat aus Jean-Luc Godards Film “Pierrot le fou”: Einsame Menschen sprechen zu viel. Fast weinerlich erzählt er mir minutenlang, wie er wertvolle Zeit sinnlos vergeude, anstatt die Welt oder wenigstens sich selbst zu retten. Faul wie Apfelmus wäre er, erst neulich hätte er sich bei Opportunismus ertappt und sein Kaputzenpulli wäre ganz sicher nicht in Einklang mit den Genfer Konventionen hergestellt worden. Beim Reden schwitzt er unangenehm stark. Und ich bin erstmals ein wenig enttäuscht. “Das ist nicht die Art der Dummheit, die ich mir erhofft hatte!”, poltere ich. Dummheit finge bei ihm im Kleinen an, da bräuchte man sich gar nichts vorzumachen, sagt er. Dass wir alle in unseren Alltagen nicht an kleinen Fehlern und Dusseligkeiten umherkommen wird aber keine starke Quintessenz für meine Reportage, sage ich. Und so haben wir alle unsere Probleme, sagt er. Und sind vielleicht alle dumm.

Ich muss mich beherrschen, ihm weder Koketterie oder Hochstapelei vorzuwerfen und probiere es weiter: Welche, hoffentlich tatsächlich dummen, Probleme ihn denn heute umtrieben hätten, frage ich. “Nun”, sagt er, “das wären hauptsächlich die ungezählten Fragen, auf die ich ich keine abschließende Antwort geben kann. Drei Beispiele: Was passiert, wenn ich Schlaftabletten in Kaffee auflöse und das Gesöff dann trinke? Wieso haben Kühe eine Leber, obwohl sie gar kein Bier trinken? Und: Wird es diese Woche, wie zuletzt, einen Donnerstag geben? Ich meine, Letzteres ist zwar sehr wahrscheinlich, aber, kann man es zweifelsfrei wissen? Kann man auch nach all den Millionen Jahren Menschheitsgeschichte nicht. Das bedrückt mich. Ich weiß, dass ich nichts weiß, ganz schön dumm, oder?” “Koketterie und Hochstapelei!”, rufe ich dann doch. Mein angeblicher Informant hatte sich als altkluger, verkappter Hobby-Philosoph entpuppt und ich fühle mich wie ein rammdösiger Sextourist, der viel zu spät bemerkt, dass seine Eroberung nicht alle erhofften primären Geschlechtsorgane vorweisen kann. In letzter Verzweiflung frage ich ihn, woran man Dummheit seiner Meinung nach denn nun eindeutig erkennen würde. Er überlegt nur kurz: Daran, dass man sich selbst interviewe. Als hätten wir die Seiten getauscht, stellt er mir jetzt eine Frage: Ob ich das häufiger täte, Selbstgespräche ohne großen Erkenntnisgewinn führen. Drang nach Selbstreflexion nenne man das, versuche ich, die Situation zu retten, außerdem würde auch ich soziale Kontakte bisweilen meiden, es wären ja dann doch fast alle Menschen dumm, also lieber mal gepflegt mit sich selber sprechen und gute Güte, es wäre schon wieder reichlich viel Alkohol gewesen heute. “Aber nicht genug!”, sagt er und bestellt uns ein Bier. Gar kein übler Kerl, denke ich. Wenn er doch nur nicht so dumm wäre.

 

(verfasst am 05.06.2014)