Die Mühe vor dem Sturm

Die Mühe vor dem Sturm

Du hast dir ihr ak­tu­el­les Album käuf­lich in einem Fach­ge­schäft er­wor­ben, um die Mu­sik­in­dus­trie ein wenig lang­sa­mer ster­ben zu las­sen. Aber be­sag­te Nelly Furta­do gab dem li­by­schen Zau­sel­dik­ta­to­ren Gad­da­fi samt fa­schis­ti­scher Ge­folg­schaft ein Pri­vat­kon­zert und dafür er­hielt die klei­ne, harm­los sin­gen­de Por­tu­gie­sin mehr Geld, als du je in einen Media Markt wirst schlep­pen kön­nen. Auch an­de­re Pop­mu­sik-​Po­pan­zen wie etwa Lio­nel Ri­chie und Beyoncé Know­les schmus­ten sin­gend mit der Gad­da­fi-​Fa­mi­lie. Die er­folg­reichs­ten Künst­ler un­se­rer Zeit sind also miet­ba­re Wan­der­zir­kus­se, die du dir bei Be­darf tem­po­rär auf den Wohn­zim­mer­tep­pich be­stel­len kannst. Egal wie du heißt oder wel­che Min­der­hei­ten du auf Ka­me­len ver­folgst. Was kannst du als Zweck­käu­fer da mit dem Kauf einer CD schon zum Er­halt der künst­le­ri­schen Frei­heit und Viel­falt leis­ten? Nichts. Außer: bes­se­re Musik hören.

Du pflegst Hass­ti­ra­den gegen deine Nach­ba­rin, weil deren Toch­ter ihren fünf­ten Ge­burts­tag bei McDo­nald’s fei­ern will und nichts da­ge­gen un­ter­nom­men wird, dass die hung­ri­ge Kin­der­gar­ten­ar­mee die Feier des Tages mit brau­nem Fleischmatsch an­geht. Wuss­test du, dass es noch nie einen Krieg zwi­schen zwei Län­dern mit McDo­nald’s-​Fress­lö­chern gab? Denk mal dar­über nach. Fast Food macht viel­leicht dumm, aber auch Frie­den. Wenn erst ein­mal alle Län­der der Welt mit Chee­se­bur­gern und Happy Meals ver­sorgt sind, wer­den wir alle fett, aber ge­müt­lich und fried­lich auf den Tod war­ten. Was ist also schon daran aus­zu­set­zen, dass Kin­der Ro­nald McDo­nald für den bes­ten Koch der Welt hal­ten. Du selbst schwörst auf Koch­mario­net­ten wie Tim Mäl­zer und Jo­hann Lafer und fin­dest es nicht ein­mal ver­werf­lich, dass diese Voll­hon­ks Wer­bung für Fer­tig­brü­he und Tief­kühl­schei­ße ma­chen. Fin­dest du da nicht einen klei­nen Wi­der­spruch? Der Quatsch, den du da täg­lich in dich hin­ein schau­felst, ist ge­nau­so syn­the­tisch wie die McDo­nald’s-​Spei­se­kar­te. Alles ist vol­ler Che­mie, vol­ler Un­ge­sund­heit; jen­seits des guten Ge­schmacks ist jen­seits von Edeka1. Und was kannst du Le­cker­mäul­chen da­ge­gen tun? Nichts. Außer hun­gern.

Du duscht jeden Tag zwei­mal, manch­mal häu­fi­ger, kaufst dir kis­ten­wei­se von der Stif­tung Wa­ren­test emp­foh­le­ne Cre­mes und Kör­per­pfle­ge­mit­tel und an deine Haare kommt nur ein halb-​wäss­ri­ger Che­mie­matsch, den du für auf Ha­waii ge­ern­te­te Ko­kos­nuss­milch hältst. Doch tief in dir drin, in dei­nem Darm, woh­nen 3,3 Mil­lio­nen Bak­te­ri­en. Sie wu­seln und ge­dei­hen fröh­lich und ewig und un­be­schwert und über dei­nen teu­ren Drang nach ober­fläch­li­cher Rein­heit wür­den sie la­chen, wenn sie könn­ten. Kön­nen sie aber nicht, weil sie viel zu sehr damit be­schäf­tigt sind, dei­nen Ver­dau­ungs­trakt als Spiel­platz zu be­nut­zen. Dein Darm ist ein son­nen­lo­ses Sam­mel­be­cken für Keime, Pa­ra­si­ten und Bak­te­ri­en­kot. Und was kannst du Sau­ber­mann da­ge­gen ma­chen? Nichts. Außer: ster­ben.

Du gräbst im Sand­kas­ten nach Schät­zen, du hasst Gut­men­schen, du suchst im Korn­feld nach vier­blätt­ri­gen Klee­blät­tern, du bist fünf Mi­nu­ten vor der plan­mä­ßi­gen Ab­fahrt an der Bus­hal­te­stel­le du lachst nur über Heinz Er­hardt und Lo­ri­ot, du schreibst bis­si­ge Le­ser­brie­fe an den „Spie­gel“ und hoffst, damit dei­nen po­li­ti­schen Ein­fluss zu ver­grö­ßern, du fin­dest Witze über Rand­grup­pen ge­mein, du trennst dei­nen Müll nach Far­ben, du zählst vol­ler Ver­trau­en nie das Wech­sel­geld, du schal­test den Fern­se­her nur für die Ta­ges­schau ein, du fin­dest, dass man dies und das ja wohl noch sagen dürf­te in un­se­rem Land, ja und du wür­dest die NPD ver­bie­ten – wenn du könn­test; du wür­dest eine Re­vo­lu­ti­on an­füh­ren – wenn du wüss­test wie; täg­lich wür­dest ganz ver­rück­te Dinge tun – wenn du über­haupt ir­gend­et­was wüss­test; und vor allem wirst du dich von die­sen Zei­len hier nicht an­ge­spro­chen füh­len. Du glaubst noch, dass du etwas ver­än­dern kannst, weil du Op­ti­mist bist, wenn es um deine Wir­kung auf die­sen Pla­ne­ten geht. Du weißt zwar, dass du weder Rad noch Vier­eck neu er­fin­den kannst. Aber dass man den Kreis noch run­der und bes­ser ma­chen kannst, be­zwei­felst du nicht im Ge­rings­ten. Klein­schritt-​Fort­schritt nennst du das. Du ver­gisst das Hin­ter­fra­gen der Mei­nun­gen, die du dir von an­de­ren ab­ge­schaut hast. Du bist das Fal­sche im Rich­ti­gen.

Denn ich und du und sie und wir und er und ihr, wir kön­nen das große Ganze nicht än­dern. Das Kol­lek­tiv rennt blind Frack­trä­gern mit Gel im Haar hin­ter­her, lacht aber über den Rat­ten­fän­ger von Ha­meln. Und? Was kön­nen wir Ta­ge­die­be und Nacht­schlä­fer daran än­dern? Nichts. Außer: uns selbst än­dern.

(geschrieben am 10.03.2011)