Der Sinn von Träumen kann doch nicht nur sein, dass man sich beim Schlaf nicht langweilt

Der Sinn von Träumen kann doch nicht nur sein, dass man sich beim Schlaf nicht langweilt

Neu­lich, da träum­te ich von geis­ti­ger Um­nach­tung. Jeder tat Dum­mes. Chaos in allen Gas­sen. Jeder hier könn­te ein „I’m with stu­pid“-​Shirt tra­gen und bei nie­man­dem ginge es als Iro­nie durch. Und für ge­wöhn­lich bin ich ja ein recht ge­häs­si­ger Kauz. Dumme Men­schen, ts. Ei­gent­lich ein ge­fun­de­nes Fres­sen für mich, ich habe häu­fig Hun­ger auf Häme. Sich er­he­ben und bes­ser füh­len: Manch­mal voll okay! Und nir­gend­wo wird es einem leich­ter ge­macht als hier. Ein wah­res All-​You-​Can-​Diss-​Mek­ka. Aber mir ging das Irren der Alp­traum­men­schen tat­säch­lich sehr nah. Aus­nahms­wei­se. So hatte ich re­gel­recht Un­ter­haut­aus­schlag, als ich sah, wie ei­ni­ge Men­schen pa­nisch Stra­ßen­la­ter­nen hin­auf zu klet­tern ver­such­ten. Sie woll­ten Wol­ken essen, ver­mu­te ich. Bes­ser wuss­ten sie es nicht, ver­mu­te ich eben­falls. Über­haupt: Kei­ner wuss­te ir­gend­was, alle wuss­ten nix; was war, was ist und wofür das hier alles hin­ge­stellt wor­den ist und wes­halb. Ein gro­ßer, hilf­lo­ser Hau­fen Mensch. Kör­per-​Klum­patsch. Mit Ant­wort­pa­nik und Un­wis­sen­heits­tou­ret­te; auf der er­folg­lo­sen Suche nach der Aus­fahrt aus der Irr­fahrt. Hier konn­te man Fra­ge­zei­chen in den Köp­fen nicht nur füh­len, son­dern auch sehen. Ich bin mir si­cher, [hier bitte be­lie­bi­gen, als au­ßer­ge­wöhn­lich dumm gel­ten­den Pro­mi­nen­ten ein­set­zen] wäre hier be­reits als Baby Bür­ger­meis­ter, Bun­des­trai­ner und No­bel­preis­trä­ger ge­wor­den. Doch dumm ist nicht der, der Dum­mes tut, son­dern der, der nichts gegen Dum­mes tut. So hielt ich es aus­nahms­wei­se für mei­nen Traum­job, den Ge­stal­ten hier zu hel­fen.

Be­son­ders be­dürf­tig er­schien mir eine äl­te­re Dame mit grü­nem Sei­den­tuch um den Kopf. Sie ging die Stra­ße immer wie­der auf und ab, plan­los und mit den klei­nen Hän­den an den Kopf ge­klam­mert, so als würde sie hof­fen, es käme ihr durch Hän­de­druck eine Ant­wort. „Kann ich Ihnen hel­fen? Wol­len Sie ir­gend­wo hin?“, frug ich sie. „Nach Hause! Nach Hause!“, wim­mer­te mir die Frau ent­ge­gen. Sie zeig­te mit Armen und Bei­nen in alle Him­mels­rich­tun­gen gleich­zei­tig, es wirk­te wie ein tra­gi­scher Tanz. Erst jetzt fiel mir ihr un­ge­wöhn­li­ches Äu­ße­res auf. Ihre Zähne waren so oran­ge wie etwas, das sehr oran­ge ist (z.B. eine Oran­ge). Und ihre Augen waren sehr, sehr groß. Wäre ich Jour­na­list, so müss­te ich aus­rech­nen, wie häu­fig das Saar­land oder Fuß­ball­fel­der hin­ein­pass­ten. Statt­des­sen frug ich wei­ter: „Wo ist denn Ihr Zu­hau­se? Kön­nen Sie mir einen Stra­ßen­na­men nen­nen?“, „Nein, nein! Weiß nix! Da­hin­ten!“. Sie lief Rich­tung Nor­den. „Nein, da­hin­ten nix, dort hin­ten!“, sie lief Rich­tung Süden. Ihre nack­ten Füße klap­per­ten auf dem Asphalt hin und her. Ich lief ihr nach, um sie zu fra­gen, was sich denn Mar­kan­tes in der Nähe ihrer Woh­nung be­fän­de. Viel­leicht könn­te ich ihr ja doch noch hel­fen. Sie ant­wor­te­te: „Mein Mann“. Ich blieb re­gungs­los ste­hen und konn­te nur noch hin­ter­her sehen, wie sie breit­bei­nig auf eine Stra­ßen­la­ter­ne sprang.

Ein paar Vögel zwit­scher­ten ein Lied, viel­leicht Mo­zart. Viel­leicht im­pro­vi­siert. Viel­leicht aber auch egal. Ein dür­rer Mann im Un­ter­hemd fiel vor meine Füße. Er schwitz­te stark wie ein Ma­ra­thon­läu­fer nach dem Ziel­ein­lauf. „Wie spät ist es, wie spät ist es?“, keuch­te er mich an und ich ant­wor­te­te ihm wahr­heits­ge­mäß: „Drei Uhr in der Nacht“. „Und warum? Warum ist es drei Uhr in der Nacht? Warum nicht Nach­mit­tag? Warum? Warum? Wa­r­u­hu­hu­hu­hum?“. „Tut mir leid, das weiß ich nicht“. „Das höre ich immer, kei­ner hier weiß etwas!“. Nun ver­än­der­te sich seine Stim­me, als hätte man seine Zunge aus­ge­tauscht oder seine Stimm­bän­der geölt: „Aber ich stel­le mich erst­mal vor, wenn du schon von mir träumst. Hal­lö­chen, ich bin hier ge­wis­ser­ma­ßen so etwas wie dein Ge­wis­sen. Der Geist der ver­gan­ge­nen Dif­fa­mie­run­gen, oder so. Ich muss jetzt auf­tau­chen, denn gleich wachst du auf. Und ohne Moral wäre so ein Traum ja ganz schön sinn­los, nicht wahr? Träu­me sind schließ­lich nicht nur dafür da, dass man sich beim Schlaf nicht lang­weilt. Achso, mein Name ist üb­ri­gens Kevin“, er reich­te mir seine linke Hand. Ich schüt­tel­te sie. Was soll­te ich auch sonst tun.

Er fuhr fort: „Üb­ri­gens hei­ßen hier alle Kevin. Sogar ei­ni­ge Frau­en. Die an­de­ren hei­ßen Chan­tal. Und weißt du, wieso wir hier so hei­ßen? Weil man dir er­folg­reich ein­ge­re­det hat, dass dumme Men­schen so hei­ßen. Du bist aber nicht nur schuld an un­se­ren Namen, son­dern auch an un­se­rer Exis­tenz. Diese gan­zen Vor­ur­tei­le, die du mit dir her­um­schleppst. Deine Ver­ach­tung für ver­meint­lich we­ni­ger Ge­bil­de­te. Deine po­li­ti­sche In­kor­rekt­heit. All das paart sich und er­gibt eben diese Bas­tar­de, die du hier nun her­umpur­zeln siehst. Die­ser Traum hier war ein Test, du hast ihn be­stan­den. Zwin­ker, zwin­ker! Du hast aber hof­fent­lich ge­se­hen, dass deine un­coo­le Art lang­fris­tig eher zu einem ge­sell­schaft­li­chen Alp­traum führt. Merke: Nett sein be­lohnt dich, Arsch­loch sein lohnt nich‘. Also, du weißt, was zu tun ist. Wache nun auf und sei er­leuch­tet. Keine Ur­sa­che, Adieu mit ö.“

Ich tö­te­te ihn. Und tat­säch­lich, dann ich wach­te auf. Noch im Schlaf­an­zug ver­packt rann­te ich auf die Stra­ße, klet­ter­te auf eine Stra­ßen­la­ter­ne und ver­such­te, Wol­ken zu essen.

[der Titel des Tex­tes ist an­ge­lehnt an einen Spruch des sehr guten Ko­mi­ker-​Du­os Katz & Goldt, er­werbt das da­zu­ge­hö­ri­ge T-​Shirt bitte hier.]

(geschrieben am 12.06.2012)